20 Jahre
Seit Wochen bereitet sich Leipzig auf das heutige Lichtfest vor. Der Höhepunkt zu den Festveranstaltungen im Zusammenhang mit der friedlichen Revolution vor 20 (!) Jahren.
20 Jahre ist es also nun schon her, aber es fühlt sich trotzdem immer noch so gegenwärtig für mich an. Ich war ab der zweiten Demo dabei. Überall waren Polizei und Armee und die "Herren", mit denen man lieber nichts zu tun haben wollte. Immer wieder wurden kleine Gruppen vom Rand abgedrängt, darum versuchten wir, möglichst dicht beisammen zu bleiben. "Wir sind das Volk!" riefen wir und damals waren wir das wirklich. Trotz der unterschiedlichsten Beweggründe eine Gemeinschaft, die bereit war zusammenzuhalten, das durchzustehen, egal wie es ausgehen würde.
An der Wandtafel meines damaligen Betriebes hing ein Aufruf, demonstrierende Kollegen zu melden und die Drohung, das diese bei Teilnahme mit ihrer Entlassung rechnen mussten. Das mag simpel klingen, aber man darf nicht vergessen - eine Entlassung aus politischen Gründen bedeutete, dass man nie wieder Fuß fassen würde. Kaderakten wurden von Betrieb zu Betrieb weitergegeben, jede winzige subversive Äußerung war darin vermerkt. Es war interessant, meine Kaderakte nach der Wende zu lesen, zwar hatte man das Recht auf Einblick, doch fehlten da dann immer einige Schriftstücke. Von einigen Anmerkungen wusste ich bis zur Wende nichts, auch wenn ich sie erahnen konnte.
Für was bin ich vor 20 Jahren auf die Strasse gegangen? Konsum, Freiheit? Ja, ich denke mein Hauptanliegen war die Freiheit. Selber entscheiden zu dürfen, wo und wie man leben möchte, welche Länder man kennenlernen wollte. Selber über politische Überzeugung, Literatur, Kultur, Informationsfluss bestimmen. Ich hab nie verstanden, dass ein Staat so wenig Vertrauen in seine Bürger hat, dass er sie wie Gefangene halten muss.
Und dann kam dieser denkwürdige Morgen im November 89, als ich meinen kleinen schwarz/weiß Kofferfernseher anmachte und mit einer zusammengebastelten Antenne im ARD-Fernsehen die Menschen am Brandenburger Tor sah. Die Mauer war offen! Ich hatte Gänsehaut, heulte und konnte es nicht glauben. Als Berlinerin mit der allgegenwärtigen Mauer aufgewachsen, war das ein einfach unbeschreiblicher Moment. An diesem Tag kamen viele nicht zur Arbeit, sondern fuhren nach Berlin, aus Angst, dass man die Grenze wieder schließen könnte. Dieser Tag war besonders, jawohl.
Viele Tage folgten, auch Tage der Ernüchterung. Natürlich. Das merkwürdige Gefühl, als ich mein Begrüßungsgeld abholte, irgendwie so bittstellermäßig, die völlige Konsumüberforderung auf dem Kuhdamm (ich glaube ganz Ostberlin war auf dem Kuhdamm unterwegs), die peinliche Berührtheit Bananen und Schokolade zugeworfen zu bekommen - irgendwie seltsam.
Aber auch das euphorische Gefühl, in einem Buchladen zu stehen, der übervoll mit sehnsüchtig begehrten Werken war. "Der Herr der Ringe" hatte ich zum Beispiel bisher nur als illegal kopiertes (!!) Buch in ungefähr 20 Klemmordnern gelesen. Die Fülle an Musik, an Technik. Schallplatten von Künstlern aus dem NSW (Nicht Sozialistisches Ausland) waren ja Bückware und fast nur über Beziehungen zu bekommen. Die aufkommende Panik, die 100.- DM nicht mit größtmöglichem Nutzen auszugeben ;-).
Jetzt nach 20 Jahren ist vieles so selbstverständlich geworden, vor allem für die Jüngeren, die nichts oder nicht viel von der DDR mitbekommen haben. Die nicht wissen, dass es noch vor 20 Jahren Luxus war, ein Telefon zu haben oder einen Farbfernseher, mal ganz abgesehen von einem Auto oder Computer. Dass man eine Zuzugsgenehmigung brauchte, wenn man innerhalb der DDR umziehen wollte und dass viele (auch ich) aus politischen Bedenklichkeitsgründen nicht studieren durften.
Es ist für mich immer noch ein kleines Wunder, den Reisepass in der Hand zu halten - auch wenn mir jetzt meist die Finanzen fehlen, aber ich könnte, wenn ich wollte ...
Trotzdem, bei all den Dingen, die in der DDR nicht funktionierten und ihr letztlich das Genick brachen, die BRD ist auch kein Traumland. Auch hier lügen und betrügen die Politiker, auch hier werden wir überwacht und kontrolliert, auch hier gibt es genug Druck, der zwar nicht mehr so offensichtlich über politische Hebel, dafür aber über die ökonomische und soziale Schiene ausgeübt wird. Die DDR, so wie sie war, möchte ich nicht mehr zurück, aber die BRD, so wie sie ist, funktioniert auch nicht wirklich. Vielleicht wäre eine gesunde Mischung aus beidem die Lösung gewesen? Wer weiß.
Heute abend ist Lichtfest. "Vielleicht kommen wieder 70.000 Menschen?" steht in der Zeitung. Ja, das denke ich schon. Aber sie kommen nicht mehr als Gemeinschaft von damals. Die Zeiten haben sich geändert, die Menschen und ihre Interessen auch.
Ich werd auf jeden Fall dabei sein. Mich an ein Land erinnern, indem ich geboren und aufgewachsen bin, viele Jahre lebte, liebte und arbeitete und das nicht mehr exestiert. Nachspüren, was ich fühlen werde, wenn ich die alte Strecke abgehe, diesmal ohne Angst.
Veränderungen sind gut, Veränderungen sind schlecht - ihr Erleben ist immer subjektiv vom Einzelnen abhängig. Trotzdem: Veränderungen sind immer wichtig, missen möchte ich sie nicht!
Nachdenkliche Grüsse
Wolfa
20 Jahre ist es also nun schon her, aber es fühlt sich trotzdem immer noch so gegenwärtig für mich an. Ich war ab der zweiten Demo dabei. Überall waren Polizei und Armee und die "Herren", mit denen man lieber nichts zu tun haben wollte. Immer wieder wurden kleine Gruppen vom Rand abgedrängt, darum versuchten wir, möglichst dicht beisammen zu bleiben. "Wir sind das Volk!" riefen wir und damals waren wir das wirklich. Trotz der unterschiedlichsten Beweggründe eine Gemeinschaft, die bereit war zusammenzuhalten, das durchzustehen, egal wie es ausgehen würde.
An der Wandtafel meines damaligen Betriebes hing ein Aufruf, demonstrierende Kollegen zu melden und die Drohung, das diese bei Teilnahme mit ihrer Entlassung rechnen mussten. Das mag simpel klingen, aber man darf nicht vergessen - eine Entlassung aus politischen Gründen bedeutete, dass man nie wieder Fuß fassen würde. Kaderakten wurden von Betrieb zu Betrieb weitergegeben, jede winzige subversive Äußerung war darin vermerkt. Es war interessant, meine Kaderakte nach der Wende zu lesen, zwar hatte man das Recht auf Einblick, doch fehlten da dann immer einige Schriftstücke. Von einigen Anmerkungen wusste ich bis zur Wende nichts, auch wenn ich sie erahnen konnte.
Für was bin ich vor 20 Jahren auf die Strasse gegangen? Konsum, Freiheit? Ja, ich denke mein Hauptanliegen war die Freiheit. Selber entscheiden zu dürfen, wo und wie man leben möchte, welche Länder man kennenlernen wollte. Selber über politische Überzeugung, Literatur, Kultur, Informationsfluss bestimmen. Ich hab nie verstanden, dass ein Staat so wenig Vertrauen in seine Bürger hat, dass er sie wie Gefangene halten muss.
Und dann kam dieser denkwürdige Morgen im November 89, als ich meinen kleinen schwarz/weiß Kofferfernseher anmachte und mit einer zusammengebastelten Antenne im ARD-Fernsehen die Menschen am Brandenburger Tor sah. Die Mauer war offen! Ich hatte Gänsehaut, heulte und konnte es nicht glauben. Als Berlinerin mit der allgegenwärtigen Mauer aufgewachsen, war das ein einfach unbeschreiblicher Moment. An diesem Tag kamen viele nicht zur Arbeit, sondern fuhren nach Berlin, aus Angst, dass man die Grenze wieder schließen könnte. Dieser Tag war besonders, jawohl.
Viele Tage folgten, auch Tage der Ernüchterung. Natürlich. Das merkwürdige Gefühl, als ich mein Begrüßungsgeld abholte, irgendwie so bittstellermäßig, die völlige Konsumüberforderung auf dem Kuhdamm (ich glaube ganz Ostberlin war auf dem Kuhdamm unterwegs), die peinliche Berührtheit Bananen und Schokolade zugeworfen zu bekommen - irgendwie seltsam.
Aber auch das euphorische Gefühl, in einem Buchladen zu stehen, der übervoll mit sehnsüchtig begehrten Werken war. "Der Herr der Ringe" hatte ich zum Beispiel bisher nur als illegal kopiertes (!!) Buch in ungefähr 20 Klemmordnern gelesen. Die Fülle an Musik, an Technik. Schallplatten von Künstlern aus dem NSW (Nicht Sozialistisches Ausland) waren ja Bückware und fast nur über Beziehungen zu bekommen. Die aufkommende Panik, die 100.- DM nicht mit größtmöglichem Nutzen auszugeben ;-).
Jetzt nach 20 Jahren ist vieles so selbstverständlich geworden, vor allem für die Jüngeren, die nichts oder nicht viel von der DDR mitbekommen haben. Die nicht wissen, dass es noch vor 20 Jahren Luxus war, ein Telefon zu haben oder einen Farbfernseher, mal ganz abgesehen von einem Auto oder Computer. Dass man eine Zuzugsgenehmigung brauchte, wenn man innerhalb der DDR umziehen wollte und dass viele (auch ich) aus politischen Bedenklichkeitsgründen nicht studieren durften.
Es ist für mich immer noch ein kleines Wunder, den Reisepass in der Hand zu halten - auch wenn mir jetzt meist die Finanzen fehlen, aber ich könnte, wenn ich wollte ...
Trotzdem, bei all den Dingen, die in der DDR nicht funktionierten und ihr letztlich das Genick brachen, die BRD ist auch kein Traumland. Auch hier lügen und betrügen die Politiker, auch hier werden wir überwacht und kontrolliert, auch hier gibt es genug Druck, der zwar nicht mehr so offensichtlich über politische Hebel, dafür aber über die ökonomische und soziale Schiene ausgeübt wird. Die DDR, so wie sie war, möchte ich nicht mehr zurück, aber die BRD, so wie sie ist, funktioniert auch nicht wirklich. Vielleicht wäre eine gesunde Mischung aus beidem die Lösung gewesen? Wer weiß.
Heute abend ist Lichtfest. "Vielleicht kommen wieder 70.000 Menschen?" steht in der Zeitung. Ja, das denke ich schon. Aber sie kommen nicht mehr als Gemeinschaft von damals. Die Zeiten haben sich geändert, die Menschen und ihre Interessen auch.
Ich werd auf jeden Fall dabei sein. Mich an ein Land erinnern, indem ich geboren und aufgewachsen bin, viele Jahre lebte, liebte und arbeitete und das nicht mehr exestiert. Nachspüren, was ich fühlen werde, wenn ich die alte Strecke abgehe, diesmal ohne Angst.
Veränderungen sind gut, Veränderungen sind schlecht - ihr Erleben ist immer subjektiv vom Einzelnen abhängig. Trotzdem: Veränderungen sind immer wichtig, missen möchte ich sie nicht!
Nachdenkliche Grüsse
Wolfa
Wolfa - 09. Oktober 2009 in: Gedankensplitter